Gott in der Welt – die Welt in Gott

Elemente eines theologischen Nachdenkens im Blick auf die Alte Dorfkirche Zehlendorf / Von Pfarrerin Dr. Donata Dörfel

Die Lage mitten im Dorf

 

Die AIte Dorfkirche bildet das kulturelle und geistige Herz Zehlendorfs. Umgeben von dem historischen Kirchhof, eingefasst durch ein 180-jähriges Mäuerchen, liegt sie – in direkter Nachbarschaft zum ehemaligen Schulgebäude, das heute das Heimatmuseum Zehlendorf birgt, – quasi ,,im Schatten“ der großen Friedenseiche.

 

An der vom Verkehr durchbrausten Kreuzung treffen vier Straßen aufeinander: Der Teltower Damm kommt von Süden, geht hier – Richtung Wilmersdorf – über in die Clayallee; die von Steglitz herüberführende Berliner Straße findet ihre Fortsetzung in der Potsdamer Straße / Potsdamer Chaussee, die schon zur Zeit Friedrichs II. die wichtigste Verbindungsstraße nach Potsdam darstellte und dann in den vierzig Jahren der Teilung Deutschlands direkt bis an die innerdeutsche Grenze führte.

 

In die Kirchhofmauer eingelassen ist ein schmiedeeisernes Gittertor: der Zugang zu Kirchhof und Kirche. Die gewaltigen Maulbeerbäume entlang der Mauer sind kürzlich auf ein praktisch nötiges und ökologisch verträgliches Maß zurückgestutzt worden. Einige kunstvoll verzierte Grabkreuze und sorgfältig gestaltete Grab-Umzäunungen säumen den Weg zum Eingang der Kirche.

 

lnnehalten an der Kreuzung des Lebens

 

An diesem Knotenpunkt gelegen, ruft die Alte Dorfkirche Zehlendorf den Vorübereilenden mehr zu als ein – durch den Kirchhof bezeugtes – ,,memento mori“. Ihre bergende und zugleich bescheidene Architektur erinnert an das ,,Zelt der Begegnung“ (Exodus Kapitel 33, Verse 7-11), das nach dem Buch Exodus im Alten Testament – dem wandernden Gottesvolk einen zeitweisen Raum des Kontakts zwischen Gott und Menschen bot. In unmittelbarer Nachbarschaft der vom Verkehr umtosten Geschäfts-, Einkaufs- und Büromeile bietet die Alte Dorfkirche einen bergenden Ort zum lnnehalten vor dem Ewigen, das mitten im Leben der Menschen anwesend ist.

 

Achteckiger Grundriss: Abbild der Vollkommenheit

 

Der achteckige Grundriss (griechisch: Oktogon) greift das oben zitierte Bild des Zeltes auf, erinnert an die Form einer Jurte. Die Acht gilt als Zahl der Vollkommenheit, symbolisiert im Morgenstern als Bild der antiken Göttin lschtar, später Venus, in der ägyptischen ,,Achtheit von Hermopolis“, den acht weltumspannenden Armen der hinduistischen Gottheit Vishnu und der differenzierten chinesischen Zahlensymbolik, den acht Himmelssphären der Gnosis. Deshalb ist das Oktogon eine wichtige Bauform sakraler Architektur, zum Beispiel beim muslimischen Felsendom, bei der Kirche San Vitale in Ravenna und bei vielen Baptisterien und Kapellen. In der christlichen Zahlensymbolik gilt die Acht als Zahl des glücklichen Anfangs, der geistigen Wiedergeburt und damit der Taufe und der Auferstehung. Mit dem achten Tag beginnt eine neue Woche, eine neue Zeit. Zur Zeit Kaisers Friedrich II. wurde die ,,Acht“ als Symbol für den Kaiser gedeutet.

 

Bei einer Umrundung der Dorfkirche fällt auf, dass sie Fenster in alle vier Himmelsrichtungen hat, wobei das runde Südfenster durch die Orgel verschattet ist. Wer die Tür öffnet, steht sofort mitten im Kirchraum – unter der Orgelempore mit der Möglichkeit eines Aufgangs nach beiden Seiten, um auf die Empore zu gelangen.

 

Im Zentrum ruhen und pulsieren Wort und Sakrament

 

Der Blick voran ist direkt auf den Altar gerichtet, der zurzeit auf einer zweistufigen Erhöhung an der Nordwand steht. Hier liegt die aufgeschlagene Bibel, um deren Wort sich die Gemeinde sammelt; hier könnte eine Taufschale an die Zugehörigkeit zum gekreuzigten und auferstandenen Christus erinnern und an das Geschenk des göttlichen Geistes; hier werden auch die Elemente Brot und Wein für die Feier des Heiligen Abendmahls bereitgestellt. Das Wort der Bibel in seiner Verlebendigung als gesprochenes Wort, als ,,viva vox“ in Liturgie, Gebet und Predigt, birgt nach protestantischem Verständnis die geistgezeugte Erfahrung des Gegenwärtig-Werdens:

 

  • ­Wir sammeln uns mit allem was uns bewegt und umtreibt, was in uns schwingt und drängt, in Gottes Gegenwart.
  • ­Wir öffnen uns als Hörende seiner Botschaft, die von den Worten der Bibel herkommend unser Leben meint und trifft.
  • ­Wir feiern seine Gegenwart im Heiligen Abendmahl, stellen uns in den weiten Raum der göttlichen Gnade und Vergebung, wenden uns einander zu mit dem Friedensgruß, teilen Brot und Kelche miteinander.
  • ­Wir empfangen den Segen als Zusage des göttlichen Wohlwollens, seines mit uns in den Alltag der Welt gehenden Interesses an jedem Menschen, ja jedem Geschöpf.

 

Die mobilen Kirchenbänke lassen unterschiedliche Ausrichtungen der Gemeinde zu. Wer möchte, kann auch auf einer der an der Innenwand aufgestellten Bänke Platz nehmen.

 

Gebet und lnnehalten zu jeder Zeit ermöglichen

 

Im Zentrum steht die Begegnung, doch ist sie nicht auf die Feier von Gottesdiensten beschränkt. Im Idealfall wäre die Kirche stets geöffnet, denn der Raum der Begegnung mit Gott ist kein exklusiver und nur wenigen ,,Erwählten“ vorbehaltener Bezirk. Wer sich hier niederlassen möchte, ist zur persönlichen Einkehr willkommen, zum Hören und Nach-Spüren, zum Gebet als einem beharrlichen Gespräch mit Gott, das jederzeit und allerorten möglich ist und doch so oft in den Wogen des Alltags abhandenkommt. Hier ist ein Raum bereit, jede und jeden eintreten zu lassen, der einen Moment des ,,Zur-Ruhe-Kommens“ sucht oder einfach den Versuch wagt, einen klaren Gedanken zu fassen, wer genauer hinhören möchte, was in ihm selber nachschwingt, oder einfach das Gesprächs mit Gott wieder aufnehmen oder gelassen fortsetzen möchte.

 

Offen sein für alle

 

Doch im Blick auf mögliche Veranstaltungen in diesem Raum geht der Radius weit hinaus über den des persönlichen Gebetes oder der gottesdienstlichen Feier der versammelten Gemeinde. Auch andere Versammlungen und Vortragsveranstaltungen sind bisher hier möglich gewesen und sollten das auch in Zukunft sein. Der protestantische Glaube stellt sich den Fragen der Zeit, lässt sich von ihnen herausfordern, wächst an ihnen, vertieft sich angesichts der Nöte und Abgründe menschlichen und kreatürlichen Elends. Wo sollten wir in unserer Bedrängnis bedingungslos Zuflucht finden, wenn nicht in einer Kirche?